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„Hersteller von Medizinprodukten sollten frühzeitig auf ihre Zulieferer zugehen.“

Was Hersteller von Medizinprodukten gemäß MDR beachten müssen, erläutert Dr. Jan Havel, Global Director General Essential Modules (GEM) Biocompatibility, Sterilization, Packaging bei der TÜV SÜD Product Service GmbH aus Sicht einer Benannten Stelle.

Mit der Einführung der neuen MDR werden sich für die Verpacker von Medizingütern einige Rahmenbedingungen ändern. Maßgebliche Änderung ist die Ausweitung der Verantwortung der Hersteller als Inverkehrbringer dieser Produkte bis zum Point of Use. Können Sie kurz schildern, welche Maßnahmen die Hersteller und Verpacker ergreifen müssen, um insbesondere dieser Änderung gerecht werden zu können?

Mit der MDR werden maßgeblich Punkte aufgenommen, die in den anwendbaren Normen technisch schon verankert, aber nicht explizit im Gesetzeswerk gefordert waren. Somit ändert sich für die Hersteller – sofern sie schon immer den technischen Normen gefolgt sind – in der Produktion wenig. Jedoch ändert sich die Art der Nachweise, die zu führen sind, um der Anforderung gerecht zu werden, dass eine Verpackung bis zum Point of Use die Sterilität aufrechterhält.

Wie das Wort „Use“ beschreibt, ist die Handhabung der verpackten Produkte für die aseptische Darreichung ein wichtiger Faktor des Sterilverpackungssystems. Die „Gebrauchstauglichkeit“ hängt daher von einigen Designmaßnahmen der Verpackung ab. Usability Tests sind nun auch in den technischen Normen verankert, für die Nachweise zu erbringen sind.

Darüber hinaus gehört zur Performance der Verpackung auch, dass deren Sterilität aufrechterhalten wird. Was implizit bedeutet, dass der Verpackungsprozess bei der Validierung einen Nachweis erbringen muss, dass Verpackungen hergestellt werden, die mit einer Wahrscheinlichkeit von maximal 1:106 einen Sterilitätsbruch haben könnten. Dies schließt auch die geltenden Transport- und Lagerungsbedingungen nach der Herstellung mit ein.

Diejenigen in der Wertschöpfungskette, die diese Sterilverpackungen oder Sterilverpackungssysteme fertigen oder teilfertigen, wie beispielsweise Zulieferer von vorgesiegelten Verpackungen, haben somit einen direkten Einfluss auf diese Performance-Aspekte der Verpackung. Die dafür angewandten Fertigungsprozesse müssen nach Stand der Technik validiert und im Sinne der MDR unter Kontrolle des Legalherstellers sein. Bezüglich der Dokumentation ist dieser dazu verpflichtet, den Nachweis zu erbringen, dass die Performance-Aspekte erfüllt sind. Es muss also sichergestellt sein, dass die entsprechenden Daten gemäß der MDR beim Legalhersteller vorliegen und auf diese Daten zugegriffen werden kann.

Inwieweit hat die MDR Auswirkungen auf Qualitätssicherungsprozesse bei den Herstellern und Verpackern?

Um all die beschriebenen Nachweise zu erbringen, ist eine Rückverfolgbarkeit entlang der gesamten Herstellungskette unabdingbar. Ebenfalls erfordert dies umfassende Qualitätsregelungen, die auch bis zu den Herstellern der Verpackungsmaterialien greifen. Es muss sichergestellt werden, dass sich die Materialien in ihren Eigenschaften nicht ändern oder Risiken im Bereich der Biokompatibilität aufweisen, weil beispielsweise in der Rezeptur Komponenten ausgetauscht werden oder im Fertigungsprozess nicht geprüfte Substanzen eingesetzt werden, die Rückstände in den Verpackungen hinterlassen könnten.

Somit ist es notwendig, dass das Änderungswesen auf die unterschiedlichen Stufen des Fertigungsprozesses zugreift und sicherstellt, dass Änderungen mit Einfluss auf das Medizinprodukt aufgedeckt und entsprechende Risiken minimiert werden. Oft ist in diesem Fall eine Zertifizierung nach einschlägigen Qualitätsnormen für die Hersteller von Medizinprodukten eine Voraussetzung.

Die MDR betrifft auch die Validierung der Verpackungsprozesse. Können Sie die Änderungen bitte kurz erläutern? Worauf sollten die Hersteller und Verpacker insbesondere ihr Augenmerk legen?

Die MDR wird vermutlich auf dieselben Normen zurückgreifen, die bereits unter der Medizinprodukte-Direktive Gültigkeit haben. Für eine Bescheinigung nach der MDR muss jedoch eine neue Konformitätsbewertung nach den vom Hersteller gewählten Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt werden, bei der die technische Dokumentation auf Basis des neuesten Stands der Technik überprüft wird. Diese Evaluierung muss auch, sofern vorhanden, zusätzliche Forderungen der Gesetzgebung mit einschließen. Dies bedeutet, dass für alle technischen Dokumentationen die Datenlage komplett sein muss, insbesondere bei den Validierungen jener Herstellungsprozesse, die schon immer in definierten Abständen neu validiert werden mussten.

Bei einer Validierung fehlen oft wichtige Informationen über die Historie beim Hersteller. Teilweise wurden Maschinen hinzugefügt und als äquivalent interpretiert oder es lag keine eigene Validierung für diese Maschinen vor. Dies würde zu einer Abweichung führen, wodurch die Konformität nicht bestätigt werden könnte.

Solche historischen Versäumnisse sind auch anwendbar auf die Nachweisdaten gemäß der alten Prüfnormen, die ein Delta zu den aktuellen Prüfnormen enthalten können. Um dieses Delta zu schließen, ist eine Begründung nach dem aktuellen Stand der Technik notwendig. Häufig existieren auch Diskrepanzen in den Berechnungen von Alterungsdaten, die dann zu deutlichen Verzögerungen in der Zulassung führen können.

Ein prominentes Beispiel für oftmals abweichende Standards ist die Transportvalidierung, die nicht für jedes Verpackungssystem vorliegt, wodurch die Performance des Produktes im Hinblick auf dessen Transport nicht vollständig nachgewiesen werden kann.

Die Auswirkungen dieses Gesetzes auf Hersteller von Spezialprodukten (mit z.B. Losgröße 1) sind sicherlich anders als die Auswirkungen auf Hersteller von Produkten in sehr großen Losgrößen („Massenprodukten“), die üblicherweise auch vollautomatisiert verpackt werden. Können Sie bitte schildern, mit welchen Herausforderungen diese beiden Herstellergruppen, auch bezüglich der Validierung hinsichtlich ihrer Verpackungsprozesse, konfrontiert sind?

Die Validierung bei Herstellern von Spezialprodukten mit Losgröße 1 ist tatsächlich ein recht problematisches Gebiet, das insbesondere dann, wenn kundenspezifische Produkte gefertigt werden, eine hohe Relevanz hat. Ein Beispiel hierfür sind 3D-gedruckte Medizinprodukte. Leider liegen hierzu vom Gesetzgeber nur wenige Vorgaben vor. Deshalb kann erwartet werden, dass es in diesem Bereich Konflikte geben wird, die insbesondere daher rühren, dass hinsichtlich der Umsetzung der erwarteten Prüfungen unterschiedliche Interpretationen der unterschiedlichen Gewaltenträger existieren können. Häufig werden in derartigen Bereichen Bracketing-Ansätze verfolgt, für die es jedoch keine spezifisch bindenden Vorgaben gibt, da die Grundforderungen der Normen meist auf Hersteller von größeren Losgrößen ausgelegt sind. Die Fertigungsparameter, die angewandt werden, müssen trotz allem mit statistisch ausreichender Tiefe geprüft worden sein, um Produkte zu liefern, die den Ansprüchen genügen.

Wie sehen Sie die Rolle der Hersteller von Verpackungslösungen bei der Prozessvalidierung? Gibt es besondere Bereiche, in denen die Maschinenhersteller ihre Kunden bei der Prozessvalidierung unterstützen können und wie sieht die optimale Zusammenarbeit Ihrer Meinung nach aus?

Hersteller von Verpackungslösungen verfügen über eine tiefgreifende Kenntnis bezüglich der technischen Begrenzungen ihrer Maschinen und bieten oftmals spezifische Lösungen für bestimmte Anwendungen. Dieses Hintergrundwissen haben die Hersteller und Verpacker von Medizinprodukten in den meisten Fällen nicht, weshalb sie auf die Unterstützung der Maschinenhersteller angewiesen sind.

Generell ist es aus meiner Sicht wichtig, dass die Hersteller von Medizinprodukten frühzeitig auf ihre Zulieferer zugehen, um für die einzelnen Projekte rechtzeitig die richtigen Weichen zu stellen. Der Hersteller von Medizinprodukten hat das Wissen über die regulativen Anforderungen, die durch die Maschinen beeinflusst werden können. Daher ist hier ein intensiver Austausch zwischen den beiden Parteien notwendig. Ein typischer Bereich, in dem schon heute ein sehr intensiver Austausch stattfindet, ist das Risikomanagement in Bezug auf das Medizinprodukt, das alle Herstellungsrisiken im Hinblick auf die Patientensicherheit darstellen muss. Deshalb ist eine direkte Interaktion zwischen dem Hersteller und dem Lieferanten notwendig.

Oftmals wird die Sterilität des Medizinproduktes durch unsachgemäße Öffnung der Verpackung am Point of Use gefährdet. Daher kommt einem Verpackungsdesign, das gewährleistet, dass die Verpackung intuitiv korrekt und damit aseptisch geöffnet wird, eine besondere Rolle zu. Können Sie uns Beispiele für kritische Designmerkmale dieser Verpackungen nennen?

Zu den kritischen Designmerkmalen gehört insbesondere die Gestaltung einer Packungsöffnung, die intuitiv vom Benutzer verstanden wird. Hierbei spielen die Bedruckung wie auch die Farb- und Formgebung eine bedeutende Rolle. Ebenso sind bei peelfähigen Verpackungen definierte Öffnungskräfte einzuhalten, um zu vermeiden, dass das Medizingut beim Öffnen der Packung herausfällt.

Wird aus Ihrer Sicht das neue Gesetz auch Auswirkungen auf Transport- und Lagerungsprozesse für die Sterilprodukte haben? Nachdem dieser Teil der Supply Chain jetzt auch in der Verantwortung der Inverkehrbringer ist – inwieweit sind jetzt schon Änderungen in diesen Prozessen bemerkbar?

Die Forderungen in diesem Bereich sind schon heute klar geregelt und eine Änderung in den derzeitig anwendbaren Normen ist nicht zu erwarten. Problematisch sind die vielen „Grandfathering“-Produkte, bei welchen Nachweise in der technischen Dokumentation fehlen, da die Änderungen der Normen über den Lebenszyklus der Produkte nicht nachvollzogen wurden und daher die Dokumentation nach Stand der Technik nicht komplett ist.

Zur EU-Bevölkerung zählen mehr als 500 Millionen Menschen
Die EU-Medizinprodukteindustrie beschäftigt fast 600.000 Mitarbeiter
Der Gesamtumsatz mit Medizinprodukten in der EU beträgt 100 Milliarden Euro
Der EU-Medizinproduktesektor umfasst 25.000 Unternehmen, davon sind 95% kleine und mittlere Unternehmen
Unter diesem Aspekt kommt auch der Verpackung und dem Design der Verpackung eine noch wichtigere Rolle zu. Inwiefern können Verpackungsmaschinenhersteller ihre Kunden bei der Erfüllung der neuen Anforderungen unterstützen?

Häufig gehört die Verpackung nicht zur Kernkompetenz der Medizinproduktehersteller. Zusätzlich wird beim Entwicklungsprozess von neuen Medizinprodukten der Aspekt einer sterilen Verpackung viel zu spät berücksichtigt, was zu hohen Kosten für das Gesamtprojekt führen kann. Der Verpackungsmaschinenhersteller hat auf diesem Gebiet häufig eine viel größere Expertise und ist damit ein wertvoller Partner in Bezug auf Verpackungsdesign und dessen Umsetzung.

Können Sie uns typische Fehler nennen, die Sie momentan im Auditierungsprozess bei Ihren Kunden bemerken?

Häufig auftretende Probleme bei der Konformitätsbewertung sind die fehlenden Nachweise und die fehlende Rückverfolgbarkeit der Daten, die für die Konformitätsbestätigung notwendig sind. Auch ist die statistische Tiefe bei der Validierung ein Diskussionspunkt, der oft zu Abweichungen bei der Auditierung führt. Des Weiteren ist in vielen Fällen der Änderungsüberwachungsprozess nicht an die regulatorisch geänderten Bedingungen (NBOG BPG 2014-03 unter MDD/neu MDCG 2020-03 unter MDR) angepasst. Änderungen am Prozess oder an den Maschinen müssen von den Benannten Stellen geprüft und freigegeben werden, da sie einen direkten Einfluss auf die Sterilität haben können.

Worauf sollten Ihre Kunden bei der Implementierung der entsprechenden Maßnahmen achten?

Bei der Implementierung jedweder Maßnahme im Bereich der Medizinprodukte sollte ein entsprechender Änderungsüberwachungsprozess vorgeschaltet sein, um sicherzustellen, dass keine neuen Prozessrisiken entstehen und kritische Prozesse, die einen Einfluss auf die Sterilität haben könnten, frühzeitig von der Benannten Stelle überprüft und genehmigt werden.

Vielen Dank für die interessanten Ausführungen, Herr Dr. Havel.

25.10.2020


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